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Ein Dorf steht auf

Es ist wieder mal Zeit für etwas Weltgeschehen, vor allem, wenn die Welt auch mal in unser Dorf kommt. So geschehen in den letzten Tagen, als sich herausstellte, dass wir zentral im Dorf ein kleines Übergangsheim für Flüchtlinge bekommen. Konzipiert für Familien oder Frauen mit Kindern, momentan vorzugsweise aus Syrien. Natürlich gab es die üblichen Diskussionen, aber alles in allem hielten sich diese im normalen politischen Rahmen.

Bis gestern.

Da bekam ich plötzlich mittags eine Mail, in der zu einer Gegendemo aufgerufen wurde. Eine Partei, die am sehr rechten Rand der Gesellschaft angesiedelt ist, hatte eine Kundgebung angemeldet, um uns nichtwissende Dörfler über die wahnwitzigen Gefahren durch die 20 Flüchtlingen (von denen, wie erwähnt, viele Kinder sind) aufzuklären.

Keine Frage, ich war dabei. Zumal ich es sehr interessant fand, dass nicht nur eine, sondern mehrere Stellen zur Gegendemo aufriefen. Neben einigen Parteien nämlich auch die Gemeindeverwaltung des Dorfes, namentlich der Bürgermeister.

Also wurden die Kinder verkauft, ich packte mich warm ein, war froh, dass es nicht regnete und stapfte los. Und traf schon eine Stunde vor Beginn auf die ersten Dorfbewohner, die den Platz vor dem zukünftigen Heim besetzt hielten, damit die Rechten sich dort nicht aufbauen konnten. Und dann passierte etwas, womit ich wirklich nicht gerechnet hatte:

Es kamen nach und nach zwischen 200-250 Dörfler. Dafür, dass viele erst drei Stunden vorher davon erfahren haben, finde ich das ganz erstaunlich. Junge, Mittelalte, Alte und sehr Alte. Und wir waren laut, sehr laut. Nicht ein Wort, das von den ungefähr 40-50 braunen Hansels via Lautsprecher an uns gerichtet wurde, erreichte auch nur einen Empfänger. Ebenso erging es deren Liedgut. Schade, aber auch. Und – sie kamen nicht mal in die Nähe des zukünftigen Heims.

Noch interessanter als die verzweifelten, aber unfruchtbaren Versuche der Rechten uns eine Botschaft zu senden, war aber die Reaktion gerade der älteren Generation. Zwar sind sie viele von ihnen nicht unbedingt begeistert über das Heim mitten im Dorf – da wird noch einiges an Aufklärung von nöten sein. Aber noch viel weniger sind sie darüber begeistert, dass irgendwelche Leute, die definitiv nicht aus dem Ort sind ihnen erklären wollen, wen sie in selbigen hineinzulassen haben und wen nicht. Und ich habe anfangs eine Diskussion mitbekommen, bei der ein Gemeinderatsmitglied sich vor einen körperlich doch sehr imposanten Demonstranten mit eindeutiger Fahne gestellt hat und ihm erklärte, er sei hier nicht erwünscht und er solle gehen und zwar jetzt. Nach zwei Minuten war der Typ so verdattert, dass er wirklich zu seinen Mannen zurück gegangen ist.

Ich bin ja immer sehr vorsichtig, wenn es darum geht, stolz auf etwas zu sein, was man nicht selbst mit eigenen Hände geschaffen hat. Aber gestern abend war ich sehr stolz darauf in einem Ort zu wohnen, in dem die Bewohner, egal welche politische Coleur sie haben, egal wie sehr sie sich letzte Woche noch in der Sitzung die Köpfe eingeschlagen haben, sich zusammen gegen rechtsradikale Gruppen stemmen. Und zusammenhalten.

Ich bin sehr sicher, dass das jetzt erst der Anfang war, die Rechten werden wieder kommen und sie werden versuchen, Ängste zu schüren und zu nähren. Aber bei dem, was ich gestern gesehen und erlebt habe, bin ich guten Mutes, dass sie sich an uns die Zähne ausbeissen werden.

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5 Gedanken zu “Ein Dorf steht auf

  1. Wirklich super!! 🙂

    (Macht im Netz (fb) gerade ein klein wenig die Runde, denn so viel spontanen Mut erlebt man nicht jeden Tag. Darauf darf das ganze Dorf mehr als stolz sein, finde ich. Weiter so! 🙂 )

  2. Pingback: Gedanken zur Bannmeile | Possums Welt

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