Life

Sie wollen doch nur spielen

Heute morgen, beim ersten Kaffee, las ich einen tweet, der mich zu dieser Diskussion führte. Als ich den tweet gelesen habe, dachte ich noch „Oh, Satire, wie schön.“
Da hatte ich aber nicht damit gerechnet, dass das ernst gemeint ist. Und ich hatte auch nicht mit den Diskussionsbeiträgen gerechnet.

Nun habe ich ja einen Ehemann, der bekanntlich seine ganz persönliche WM jedes Jahr in Form des Super-Bowls hat und der bei jedem – und ich meine bei jedem – Fußballspiel, das er sieht lautstark vehement Regeländerungen („Abseits gehört abgeschafft!“ „Unentschieden ist was für Weicheier!“ „Wenn ich an die Macht komme, gibt es eine echte Spielzeit!“) fordert. Als Gegenpol hätte ich bekanntermaßen eine fußballverrückte Familie zu bieten, die Football für einen kommerzialisierten Weicheiersport für konditionell retardierte Gorillas hält. Ich bin also, Fußball betreffend, Kummer gewohnt. Aber das alles wappnete mich nicht für diese Diskussion, über die ich sogar meinen (selbstverständlich fair gehandelten) Kaffee vergaß.

Als Nicht-Generellglobalisationsverteuflerin behaupte ich ja, dass es nur unter deutschen Intellektuellen, hier gerne der schwer ökologisch angehauchte und immer politisch korrekte Flügel, so eine Diskussion geben kann. Ob man es nun mag oder nicht ein großes Sportereignisse (wobei groß ja schon sowas wie Masse beinhaltet und deswegen schon per Definition schlecht und damit abzulehnen ist) wie die Fußball-WM oder Olympia beeinflusst die Gesellschaft nun mal wesentlich mehr, als die besagten ertrinkenden Flüchtlinge. Das mag man verurteilen, ja. Aber es ist schlicht dumm genau das zu ignorieren. Viel interessanter ist es ja, zu fragen, warum dem denn so ist. Und da kommt man dann leicht auf eine andere Sache, die der linksliberealen taz-Leserschaft wohl noch viel mehr aufstößt.

Die Fußball-WM bringt ein Zusammengehörigkeitsgefühl zustande wie sonst kein anderes Ereignis – und das nicht erst seit dem Sommermärchen. Ich erinnere mich sehr deutlich an eine laue Sommernacht anno 1990, in der mit wildfremden Menschen tanzend durch die Straßen der alten Heimat gezogen bin, die Deutschlandfahne hochreckend und „Oh, wie ist das schön!“ singend. Immer mit dem zum Tadel erhobenen Finger der AntiFa-Bewegung im Kopf, der mich mahnte, in meinem Gewissen nach nationalistischen Tendenzen zu suchen. Schließlich war und ist das gerade in Deutschland eine neue und immer noch delikate Sache. Ich habe 20 Jahre reisen und eine immer noch währende Ehe mit einem Ausländer gebraucht, um genau diesen Finger zusammen zu falten. Und um raus zu finden dass es nicht viel bringt, ein nationales Zusammengehörigkeitsgefühl mit Nationalismus gleichzusetzen. Das genau das sogar gefährlich ist.

Daher wäre es gerade für ein Medium wie die taz interessant sich unpolemisch, ernsthaft und vor allem ohne Schere in der Tastatur mit dem schleichenden Prozess des positiven (Achtung, böses Wort) Nationalgefühl auseinander zu setzen. Und ebensolches wird eben unter anderem durch den Sport sichtbar wird. Das wäre doch mal was ganz revolutionär Neues.

Etwas anderes radikal Neues wäre es, wenn sie mehr über Fußballweltmeisterschaft der Frauen berichten würde – denn da sehe ich ein durch nichts zu rechtfertigendes Ungleichgewicht. Und in die Macho-Falle sind Redakteur und Leserschaft gerade sehenden Auges wunderbar reingetappt, in dem sie nur von der WM der Männer mit ihren rückwärtsgerichteten Strukturen geredet haben. Fußballspielende Frauen und Fans sind Euch also so wenig im Bewußtsein, dass wir noch nicht mal die Diskussion einer Verbannung wert sind. Auch interessant.

Und letztlich: Natürlich gibt es so unendlich viele schlimmere und wichtigere Themen, die auf die Titelseite gehören. Aber ob es in bestimmten Zeiten auch wirklich gesellschaftsrelevantere, und zwar nicht nur für Deutschland, sondern für große Teile Europas, Afrikas und Südamerikas, gibt – das wage ich zu bezweifeln. Und wenn eine Zeitung ernstgenommen werden will, dann führt sie sich selbst ad absurdum, wenn sie über ein Ereignis, das mehr Deutsche bewegt als eine Bundestagswahl, nicht berichtet. Denn damit schwinden auch alle Möglichkeiten der Einflussnahme auf die öffentliche Meinung.

Passend dazu ist übrigens, eröffnete mir der weltbeste Erzieher gerade dass Kind Nummer Zwei nächste Woche bei einem Freundschaftsfußballspiel gegen eine andere Kita mitspielen möchte . Er bräuchte noch ein T-Shirt, das man dafür bemalen könne. Ich hab gerade beschlossen, ich werde das Deutschland-Shirt der letzten WM von Kind Nummer Eins dafür ausgraben.

Die taz kann dann ja auf der Titelseite berichten.

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